Juristen und Juristinnen sind häufige Besucher in meiner Coachingpraxis. Das kommt nicht von ungefähr, wurde doch vielen der Satz mitgegeben, mit einem Jusstudium könne man „alles machen“. Im Folgenden möchte ich darlegen, warum diese Aussage so allgemein formuliert heute nicht mehr stimmt (Ausnahmen bestätigen die Regel) und warum sie kein guter Rat an Studienanfänger ist.

Was treibt Juristen in die Karriereberatung?

Die meisten kommen mit dem Anliegen zu mir, etwas anderes als „Anwalt“ werden zu wollen oder auch mit dem Wunsch, aus diesem Beruf auszusteigen (die Gründe hierfür sind nachvollziehbar: Die Branche ist für ausufernden Arbeitszeiten bei geringen Anfangsgehältern bekannt. Oft höre ich von schlechtem Arbeitsklima usw). Jobs wie Richter, Staatsanwalt & Co sind oft keine Option, andere Stellen in der öffentlichen Verwaltung schwer zu kriegen. Einige spielen auch mit der Vorstellung, mit einem abgeschlossenen Jus-Studium etwas „ganz anderes“ zu machen. Ob und wie das gehen könne, werde ich dann gefragt.

Meine Antwort darauf ist abwägend: Einerseits glaube ich, dass es immer einen Weg gibt, wenn Wille und Durchhaltevermögen ausreichend vorhanden sind. Andererseits gilt es schon, die Dynamik des Arbeitsmarktes zu berücksichtigen. Und hier hat sich in den letzten 15 – 20 Jahren für Rechtswissenschaftler außerhalb der klassisch-juristischen Berufe viel verändert.

Verdrängung von Juristen aus rechtsfernen Unternehmensbereichen

Der deutsche Elitensoziologe Michael Hartmann stellte schon vor Jahren fest, dass Juristen ihren ehemaligen Status von Alleskönnern immer mehr an Betriebswirte abgeben mussten. Seine Untersuchung zu den Karrierewegen deutscher Vorstandsvorsitzender aus dem Jahre 2006 belegen, dass der Anteil von Naturwissenschaftlern und Ingenieuren im Topmanagement in den Jahren davor deutlich anstiegen war. Dagegen waren immer weniger studierte Juristen unter den Vorständen zu finden. Diese Ergebnisse stimmen mit meinen Beobachtungen über den österreichischen Arbeitsmarkt für Juristen überein.

Berufe, die eine klare juristische Expertise erfordern – der „kernjuristische“ Bereich also – stellen weiterhin ein sicheres Jobfeld für Juristen dar. Jedoch herrscht hier starker Wettbewerb. Und viele Juristen würden auch gerne „gemischte“ oder „ganz andere“ Jobs machen und zB im Marketing, Personalwesen oder den Public Relations arbeiten (die Vorstellungen sind hier meist nicht sehr klar). Entweder, weil sie sich in klassisch-juristischen Berufen nicht sehen oder mit der Zeit breitere Interessen an sich intdeckt haben. Manchmal auch, weil sie in den typisch juristischen Bereichen nicht unterkommen. Und hier haben wir gleich mehrere Probleme.

Was macht das Überwechseln in andere Berufsfelder für Juristen heute so schwer?

  • Arbeitsmarkt: Betriebswirtschaftliche Funktionen haben sich in den letzten Jahrzehnten stark ausdifferenziert und haben wesentlich mehr mit „Gestalten“ als mit „Verwalten“ zu tun. Verwalten (im weitesten Sinn) ist aber nun das, was Juristen gelernt haben. Waren früher zB Personalistenfunktionen in Unternehmen in aller Regel mit Juristen besetzt – die hießen dann „Personaldirektor“ –  findet man heute überwiegend Wirtschaftswissenschaftler in diesen Funktionen. Warum? Weil die Aufgaben des modernen Personalwesens eben nur noch zum Teil aus juristischen Fragestellungen bestehen. Wirtschaftliche  Kompetenz ist für Bereiche wie Personalcontrolling, Recruiting und Personalentwicklung hingegen unverzichtbar.
  • Selbstverständnis & Marktkenntnis: Vor allem junge Juristen haben meist keinerlei Vorstellungen davon, was es für Berufe abseits von klassisch-juristischen Karrierewegen gibt. Sie wissen wenig bis nichts über Unternehmen und verschiedene Spezialisationen, die am Markt gefragt sind. Meist haben sie auch keine Idee, wie sie sich ein solches Wissen aneignen könnten. Hier empfehle ich Karrieremessen, gezielte Interview oder das Hilfsportal für Orientierungssuchende schlechthin whatchado
  • Druck aus dem privaten Umfeld: Eine Klientin hat es einmal so auf den Punkt gebracht: „Bei Studienbeginn sagen dir alle, studiere Jus, damit kannst du alles machen. Und wenn du dann fertig bist und tatsächlich etwas anderes machen willst, erntest du nur Kopfschütteln und Unverständnis“. Nota bene: Genau diese Klientin hat es dann doch geschafft und mittlerweile in einer anderen Branche Fuß gefasst.

Fazit: Umorientierungen aus dem kernjuristischen Bereich heraus sind möglich, können aber je nach Interessenslage und sonstigen Voraussetzungen lange, dh. Jahre dauern. Sie sollten daher so früh wie möglich strategisch geplant werden.

Ein späteres „Ausscheren“ aus dem juristischen Bereich ist meist sehr schwierig und erfordert kluge Planung, erhebliches Durchhaltevermögen, oft auch Weiterbildungen und berufliche „Zwischenstationen“, bis das gewünschte Ziel erreicht wird.