Die Zeit heilt alle Wunden – oder nicht?
Es gibt Vorkommnisse, die so schwer sind, dass eine Erholung auch nach langer Zeit nicht „einfach so“ geschieht. Traumatische Erfahrungen übersteigen unsere Verarbeitungsfähigkeit. In gefährlichen Situationen will der Mensch kämpfen oder flüchten – wie alle Säugetiere.
Wenn das nicht möglich ist, antwortet unser Organismus mit Erstarrung (FREEZE im Gegensatz zu FIGHT oder FLIGHT). Wir erleben intensive Gefühle von Ohnmacht, Hilflosigkeit oder auch Todesangst.
Anders als bei Säugetiere sind unserer menschlichen Kultur natürliche Mechanismen zum Stressabbau abhanden gekommen wie das Schütteln oder Zittern, Bewegung oder Tanz in der Gruppe. So bleibt im Körper oft über lange Zeit eine Art Schreckstarre aktiviert – und das kann zu Beschwerden führen.
Neben Krieg, Folter, Naturkatastrophen oder schwerer Gewalt gibt es viele andere Auslöser für traumatische Wunden, wie zB Unfälle, medizinische Eingriffe, schwierige Geburtserlebnisse und sexualisierte Gewalt. Vernachlässigung, Geschlagenwerden oder Verlust eines Elternteils als Kind wirken traumatisierend. Zeugenschaft, Zusehen- oder Zuhören-Müssen bei schlimmen Ereignissen kann genauso traumatisierend wirken wie das direkte Erleben.
Isolierte traumatische Verletzungen heilen in vielen Fällen von selbst, va. wenn die sonstige Lebensgeschichte wenig Belastung zeigt und Unterstützung von außen da ist. In anderen Fällen, va. bei schweren oder lange anhaltenden Extrembelastungen braucht es meist professionelle Hilfe.
„Ein Trauma ist im Nervensystem gebunden. Es ist eine biologisch unvollständige Antwort des Körpers auf eine lebensbedrohliche Situation. Das Nervensystem hat dadurch seine Flexibilität verloren“.
Peter Levine (renommierter Körper-Traumatherapeut)
Wie sehen Traumafolgestörungen aus?
Die Symptome können sehr vielschichtig sein, je nach Art, Intensität und Häufigkeit erlebter traumatischer Situationen. Das macht die Heilung tatsächlich zu einem Weg tiefer Transformation. Ein Trauma kann sich im Leben auf viele Bereiche auswirken und die betroffene Person stark einschränken. Wichtig: Symptome können sich noch Jahre nach dem auslösenden Ereignis entwickeln!
Mögliche Symptome sind:
- Übererregung (zB schnelles Aufregen, leichtes Erschrecken), Angst, Panikattacken, Schlafstörungen, Albträume
- Nachhallerinnerungen („flashbacks“, das ist ein blitzartiges Wiedererleben)
- Vermeidungssymptome (zB Meiden bestimmter Orte oder Menschenansammlungen)
- Gefühle werden als bedrohlich erlebt, es ist zB schwierig, mit Ärger umzugehen
- Psychosomatische Beschwerden, Konzentrationsschwierigkeiten, innere Unruhe, leichte Reizbarkeit
- Wiederkehrende depressive Episoden
Oft besteht ein geringes Selbstwertgefühl oder chronische Schuldgefühle (auch wenn man nicht schuld war!), ein starkes Kontrollbedürfnis, Gefühle von Verzweiflung, Depression oder Hoffnungslosigkeit.
Sogenannte Entwicklungstraumata, also tiefe Verletzungen, die durch schwierige familiäre Beziehungen entstanden sind, bringen oft Schwierigkeiten in späteren Liebesbeziehungen mit sich. Angst, innere Erstarrung und Selbstschutz verhindern Gefühle von Verbundenheit. Trauma hat damit damit eine große, stille Macht, indem es das verhindert, was Lebensqualität im Kern ausmacht: gute, friedvolle Beziehungen zu anderen.