Affären – so alt wie die Erfindung der Ehe

Affären kommen in so gut wie allen Gesellschaften am Erdball vor, auch in solchen, wo dafür die Todesstrafe droht. In den USA, dem Land der hohen moralischen Standards, wird nicht weniger betrogen als im scheinbar leichtlebigen Frankreich. Affären geschehen in traditionellen Ländern wie in den hoch entwickelten Gesellschaften Skandinaviens. Affären passieren im Krieg wie im Frieden. Sie laufen über Kontinente hinweg oder ganz nebenan in der Nachbarschaft.

Affären können Partnerschaften, Ehen und ganze Familien zerstören. Immer wieder auch Karrieren. Sie geschehen, obwohl sie auf Seiten der Betrogenen starken psychischen Schmerz bis hin zu Symptomen einer posttraumatischen Belastungsreaktion auslösen.

Und obwohl Trennung und Scheidung in unserem Kulturkreis sozial akzeptiert sind, verwickeln sich viele Menschen in Affären. Die Affäre setzt ja immer eine Grundbeziehung voraus – eine, die man beenden könnte, bevor es zu einer Zweigleisigkeit kommt.

Affären sind sehr häufig, und viele werden niemals aufgedeckt. Wenn sie aufgedeckt werden, geschieht dies heute meist durch zufällig gefundene oder aktiv aufgestöberte Nachrichten auf Smartphones, Laptops usw.

Untreue und das Erschrecken über sich selbst

Ich schreibe hier nicht über chronische FremdgängerInnen. Diese bilden eine Sondergruppe und sind in der Praxis nicht sonderlich häufig. Auch Menschen, die sich für polyamouröse Lebensformen entschieden haben, bilden eine eigene Kategorie.

In allen Fällen in meiner Praxis waren es verantwortungsbewusste Menschen, die viele Jahre, manchmal Jahrzehnte, relativ stabil in einer Grundbeziehung gelebt haben und ihren PartnerInnen sehr verbunden waren. Oft wurde deutlich, dass sie den Menschen an ihrer Seite nach wie vor aufrecht liebten.

Eine meiner Klientinnen in ihren Vierzigern, eine bis zu ihrer Affäre durchgehend treue und viel gebende Ehefrau und Mutter, war zutiefst erschrocken über sich selbst und verurteilte sich heftig. Ihr Handeln widersprach ihren bisher hochgehaltenen Werten in eklatanter Weise. Sie verstand sich selbst nicht mehr.

Gleichzeitig gelang es ihr nicht, ihre Affäre rasch zu beenden.

Verliebtheit – ein Zustand, der mit der Wirkung von Kokain vergleichbar ist

Ich habe schon einige Klientinnen und Klienten durch ihre Liebesaffären hindurch begleitet. Keine Geschichte gleicht der anderen. Worin sich Beziehungsbrüchige jedoch ähneln, ist ein ganz bestimmter, höchst intensiver Gefühlscocktail.

Da ist zum einen die Verliebtheit, ein Zustand der Verzückung, Besessenheit und Entrückung, der von der US-Anthropologin Helen Fisher mit modernen Mitteln der Hirnforschung untersucht wurde. Sie legte verliebte Menschen „in die Röhre“, dh. sie führte fMRTs an ihnen durch, funktionelle Magnetresonanztomografien.

Dabei wurde klar: der Zustand der romantischen Liebe, die Verliebtheit, gleicht dem Rausch von Kokain. Dieselben Hirnareale zeigten eine deutlich erhöhte Aktivität.

Auch meine fremdgehenden Klientinnen und Klienten waren unablässig in Gedanken mit dem Menschen ihrer Träume beschäftigt, konnten an wenig anderes denken, hatten Sehnsucht. Ihr ganzes Leben schien plötzlich wie in einem neuen Licht – heller, unendlich lebendiger, hoffnungsvoll, aber auch unruhig. 

Affären als Grenzerfahrung

Gleichzeitig war da aber auch eine Fülle von anderen, belastenden Gefühlen, die das Geschehen oft zu einem emotionalen Grenzgang machten. Scham und Schuld allen voran.

Affären, die auffliegen, destabilisieren die Betrogenen psychisch in aller Regel massiv. Einen so tiefen Vertrauensbruch stecken die Wenigsten einfach weg. Aber auch diejenigen, die eine Affäre aktiv betreiben, erleben gewöhnlich emotionale Hochschaubahnen.

Affären führen alle Betroffene oft an die Grenzen der emotionalen Belastbarkeit.

Ein Mann, dessen Grundbeziehung schon über ein Jahr ohne jede sexuelle Begegnung war, hatte sogar ernste Bedenken, mir von seiner Affäre zu erzählen. Ich als Frau könnten ihn als Mann geringschätzen und verurteilen für das, was er tat. Meine Entgegnung, dass Frauen Männern beim Fremdgehen mittlerweile kaum nachstehen, beruhigte ihn etwas. Und auch meine Versicherung, dass es nicht darum geht, zu urteilen oder gar zu verurteilen, sondern zu verstehen.

Und da ist oft viel Angst – Angst, zu verletzen. Angst, erwischt zu werden. Angst, die Grundbeziehung, einen vielleicht geliebten Menschen zu verlieren, ein Leben, das man sich über viele Jahre aufgebaut hat. Das Nervensystem kann sich kaum beruhigen, läuft im dauerhaften Kampf-Flucht-Modus.

Viele Betrügende erleben die enorme Lebendigkeit der Verliebtheit – und gleichzeitig große Verwirrung, innere Zerrissenheit und Selbstvorwürfe bis hin zur Verzweiflung.

Auch wenn man darüber diskutieren könnte, welches Recht auf Hilfe Menschen zugestanden werden sollte, die sich so unehrlich verhalten: Ich bin der Meinung, dass auch Fremdgehende Unterstützung gut gebrauchen können und diese auch verdienen.

Im besten Fall kann eine Begleitung in Therapie oder Coaching verhindern, dass eine Familie auseinander bricht, jemand sich blindlings in sein Unglück stürzt oder andere Personen schwerer verletzt werden als es notwendig.

Affären können auch in glücklichen Partnerschaften vorkommen

Es ist ein nach wie vor weit verbreiteter Irrtum, dass Affären nur Menschen in „unglücklichen“ Partnerschaften passieren.

Die US-Paartherapeutin Shirley Glass nannte es das „Präventions-Paradoxon“: die Vorstellung, durch Vorkehrungen in der Partnerschaft Affären grundsätzlich verhindern zu können. Sie betont, wie wichtig es für jeden Einzelnen in einer Partnerschaft ist, in der Arbeitswelt, privat und online auf die eigenen Grenzen zu achten.

Emotional aufgeladene Situationen bringen uns anderen Menschen innerlich unweigerlich näher – und schon ist eine gute Chance gegeben, sich zu verlieben.

Sich besser verstehen lernen – und kluge Entscheidungen treffen

In der Begleitung von Einzelpersonen, die fremdgehen, geht es mir va darum, ein besseres Verständnis für die tieferliegenden Dynamiken zu finden. Die Affäre als Entwicklungs-Turbo oder zumindest als Weckruf zu nutzen. Denn oft geht es auch um Aspekte des eigenen ungelebten Lebens, das durch einen neuen Liebespartner plötzlich wie magisch spürbar wird.

Oder die Affäre ist „einfach so“ passiert – das kommt vor. Die Arbeitswelt und das Internet mit seinen unendlichen Kontakt-Möglichkeiten bieten einen laufenden Pool an Verführungen. Wer seine Grenzen nicht gut schützt, kann in eine Affäre „hineinrutschen“, auch wenn es keine großen Gewitterwolken in der Grundbeziehung gibt. Der Reiz des Heimlichen und Neuen verstärken den Sog zusätzlich.

Je besser man sich als Betroffene, als Betroffener verstehen lernt, umso fundierter können die Lebens-Entscheidungen ausfallen, die wahrscheinlich notwendig werden: Bleiben oder gehen? Langjährige Partnerschaft, Affäre, beides oder keines?